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Eigentlich
hatte ich nie vor, ein Buch zu schreiben. Wer interessiert sich denn schon für
die Lebensgeschichte eines 08/15-Mitbürgers, der kein Promi oder sonst wie berühmt
ist? Irgendwie tat es aber gut, den ganzen Seelenmüll niederzuschreiben, und
dann las ich die Lebensgeschichte einer drogenabhängigen Prostituierten. Auch
anonym geschrieben, nur ein kleines, dünnes Buch. Aber trotzdem war es
interessant, einmal hinter die Kulissen des Milieus zu blicken und zu erfahren,
wie sich wohl so jemand fühlt, der darin lebt.
Vielleicht
erkennt sich auch in meiner Geschichte der ein oder andere Leser in bestimmten
Situationen wieder und hat vielleicht schon einmal ähnliche Erfahrungen
gemacht. Dann ist es doch schön zu wissen, dass man damit nicht alleine steht
und es Leidensgenossen gibt.
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Im
Laufe des Lebens denkt jeder Mensch wohl mindestens einmal über Selbstmord
nach. Obwohl Selbstmord so ein hartes Wort ist, ich mag es nicht. Kann man sich
selbst ermorden? Einen Mord macht doch das Opfer nicht freiwillig mit. Doch in
diesem Fall sind Mörder und Opfer die gleiche Person und das Opfer macht
freiwillig mit. Selbsttötung oder Suizid hört sich da treffender an.
Doch
ich schweife ab, fangen wir nochmal an: Haben Sie nicht auch schon einmal darüber
nachgedacht, wie es wohl wäre zu sterben? Auf einen Schlag keine Probleme mehr,
keine Verpflichtungen mehr? Noch einmal alles essen, was einem schmeckt, aber
total ungesund ist und fett macht, ohne Reue, weil es plötzlich total
unrelevant ist? Okay, es hängt wohl sehr von der Glaubensrichtung ab, je nach
Religion hängt man wohl mehr oder weniger am Leben. Aber einmal abgesehen
davon, dass in den meisten Religionen (oder sogar allen? – ich weiß es nicht)
Suizid als Sünde angesehen wird, wäre es nicht ein verführerischer Gedanke,
jetzt einfach, kurz und schmerzlos, zu sterben? Vielleicht ein Herzinfarkt, nur
ein kurzes Stechen in der Brust und schon ist alles vorbei?
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Den
Begriff Burnout kennt wohl fast jeder. Jeder stöhnt und lamentiert über zu
viel Arbeit und zu wenig Zeit. Jeder stöhnt, wie überarbeitet er ist und dass
er zu viel Stress hat. Doch wie viel davon ist wahr? Wie viele Menschen
lamentieren und wollen im Grunde nur bedauert werden? Ich weiß es nicht und
will natürlich jetzt auch nicht alle über einen Kamm scheren. Das wäre
genauso falsch, wie zu behaupten, dass alle Hartz-IV-Empfänger notorische
Faulenzer sind, die sich nur auf Staatskosten ausruhen. Doch zum Begriff Burnout
gibt es auch einen Gegenbegriff. Hierfür wurde der Begriff Boreout gewählt.
Abgeleitet von »to bore«, sich langweilen. Dieser Begriff ist allerdings noch
ziemlich unbekannt. Bislang war Boreout ein Tabuthema, denn niemand gibt gerne
zu, sich an seinem Arbeitsplatz zu langweilen, nicht genug zu tun zu haben oder
sich unterfordert zu fühlen. Das Stöhnen über zu viel Arbeit ist doch viel
reizvoller und man wird auch noch bedauert. Außerdem kann man Fehler leichter
vertuschen, denn man hatte ja so viel zu tun, da kann man glatt etwas vergessen,
da muss es doch keinen wundern, dass einem Fehler passieren, bei der Hektik. Wie
klänge stattdessen folgendes? »Sorry, Chef, mir war so langweilig, da habe ich
glatt vergessen, das noch zu erledigen«, oder: »Ich hatte so viel Zeit, dass
ich das nicht richtig machen konnte.« Derlei Fehlerbegründungen hören sich
allzu dumm an und niemand würde sich die Blöße geben, sie zur Entschuldigung
anzuführen. Deshalb werden Langeweile und Unterforderung
totgeschwiegen und man mimt vor Kollegen und dem Chef lieber den überarbeiteten,
stressgeplagten Mitarbeiter. Aber diese Fassade aufrechtzuerhalten ist auf die
Dauer sehr schwierig und erfordert fast mehr Disziplin als geregelte Arbeit.
Bewiesen ist längst, dass Unzufriedenheit und Unterforderung zu Stress führen.
Der Stresspegel und die Symptome bei Boreout sind identisch mit denen des
Burnout. Der Betroffene wird genauso krank, nur mit dem Unterschied, dass es
gesellschaftsfähiger ist, überarbeitet zu sein, als sich zu Tode zu
langweilen.
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Wie
stellen Sie sich die Patienten einer psychiatrischen Klinik vor? Sabbernde,
schreiende, tobende Menschen in Zwangsjacken, die die Augen verdrehen und dummes
Zeug lallen?? Na ja, Abteilungen mit solchen Patienten gibt es auch, aber das
sind dann wirklich die schweren Fälle. Auf den meisten Stationen befinden sich
ganz »normale« Menschen, die eben nur das kleine Problem haben, nicht mehr mit
dem Leben zurechtzukommen. Da ist beispielsweise der Polizist, dessen Kollege im
Dienst vor seinen Augen erschossen wurde, oder der Lokführer, dem sich ein
Selbstmörder vor den Zug geworfen hat, oder die Jugendliche, die vom Vater
vergewaltigt wurde. Traurig fand ich auch den Fall eines Mannes, welcher sich
jedes Jahr von Weihnachten bis Neujahr aus freien Stücken einweisen ließ, aus
Angst vor Suizidgedanken, wenn ihm zu Hause vor lauter Einsamkeit die Decke auf
den Kopf fiel. Ja, in der Weihnachtszeit ist die Selbstmordrate besonders hoch.
Menschen, die Angst vor dem Alleinsein haben, spüren dies an Weihnachten, dem
großen Fest der Familie und Liebe, besonders krass, und die anderen wiederum wünschen
sich oft nichts sehnlicher, als allein zu Hause zu sitzen und ihre Ruhe zu
haben, statt sich auf stressigen Familienfeiern beinahe die Köpfe
einzuschlagen. Welche Ironie des Schicksals!
Auch ich wurde kurz vor Weihnachten eingeliefert. Mir war alles egal, ich war
innerlich völlig leer. Nach einem kurzen Gespräch mit einer Psychologin und
einer körperlichen Untersuchung wurde mir mein Zimmer zugeteilt. Es war ein
kleines Zweibettzimmer, welches ich mit einer jungen Frau teilte. Eigentlich
hatte ich damit gerechnet, dass sogar meine Sachen durchsucht werden würden,
auf irgendwelche Gegenstände, Nagelscheren etwa, mit denen man sich umbringen könnte.
Aber nichts dergleichen geschah.
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